Potentiale von systemischen Ansätzen im Unternehmens-engagement

Interviews

Datum 18. Februar 2022

Interview mit Manuela Pastore

Manuela Pastore ist seit 2013 in der Leitungsfunktion bei Making More Health (MMH), der sozialunternehmerischen Initiative von Boehringer Ingelheim. Wir haben mit ihr über die Ziele und Stärken der Initiative als Beispiel für systemisches Unternehmensengagement (UE)[1] gesprochen. Außerdem haben wir nach Tipps zur Nachahmung gefragt.


Worum geht es bei Making More Health (MMH)?

MMH ist eine weltweite Initiative, um Menschen Zugang zu mehr Gesundheit zu ermöglichen. Was bedeutet, Gesundheit auch in Zusammenhang mit Bildung, einkommensschaffenden Maßnahmen und infrastrukturellen Herausforderungen zu denken. Dabei ist es wichtig, systemisch Lösungen zu entwickeln, gemeinsam mit unserem Partner Ashoka und Partnern aus unterschiedlichen Sektoren (Sozialunternehmern, Academia, NGOs…), die sich aktiv vor Ort engagieren.  Es geht darum gemeinsam mit den Menschen vor Ort vernetzte, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und hierbei einen Mehrwert für alle zu schaffen.  

Das heißt wir unterstützen zum einen Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer, die gesellschaftliche Probleme lösen und helfen ihnen bei der Umsetzung und Skalierung innovativer Businessmodelle. Zusätzlich koordinieren und implementieren wir Lösungen gemeinsam mit ihnen und anderen Organisationen in unseren zwei Pilotregionen (Westkenia und Südindien). Nachhaltige Lösungen zu finden, setzt voraus, tatsächlich zu begreifen, wie die Wirklichkeit von Menschen, die an der Armutsgrenze leben, konkret aussieht, und wie alltägliche Bedarfe der Menschen vor Ort miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen.  Wir sehen auch, ob unsere Lösungen wirken und welche „Nebenwirkungen“ sie haben- systemisch eben.  Durch die Erfahrungen und Einblicke lernen auch wir, als Unternehmen und Individuen, dazu und bekommen innovative Ideen für zukünftige Geschäftsmodelle und nachhaltiges Handeln.

Warum sollten die Business- und die soziale Welt zusammen agieren? 

Wenn wir uns Zahlen, Fakten und Daten über unsere Welt anschauen, stellt man doch recht schnell fest, dass die Probleme in den letzten 50 Jahren stark zugenommen haben- trotz des vielen Engagements von Unternehmen, NGOs oder Regierungen, die sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen.

Das zeigt: Für nachhaltige Veränderungen reicht es nicht aus, als einzelner Akteur in ein bestimmtes Projekt zu investieren.Herausforderungen brauchen komplexe Lösungen und damit auch viele verschiedene Stakeholder, die sich engagieren und verlinken. Wir müssen sehr viel vernetzter denken und UE-Initiativen systematisch angehen.

Welche anderen Vorteile hat diese systemische Herangehensweise im Vergleich zu vorherige Unternehmensengagement- Formen?

Der systemische Ansatz ist nachhaltiger als reagierende UE-Initiativen. Vielleicht erst einmal zur Einordnung: Unter reagierender UE verstehen wir, dass Unternehmen nach dem Motto agieren: „Wir haben Ressourcen für soziales Engagement und mit diesen machen wir entsprechende Projekte über einen begrenzten Zeitraum. Diese Projekte sollen zu uns als Unternehmen passen und natürlich auch Bedarfe vor Ort decken. Es geht uns aber nicht darum, die Vernetzungen einzelner Akteurinnen und Akteure zu fördern und so zusammenhängende Herausforderungen breiter und langfristiger über unsere eigenen Unternehmensgrenzen hinaus anzugehen.“

Vernetzte gemeinschaftliche Lösungsansätze – auch auf organisatorischer Ebene der Partnerinnen und Partner sowie Investorinnen und Investoren – ermöglichen dagegen langfristiges und sehr viel umfassenderes nachhaltiges Agieren. Wir können uns das Ganze ja einmal bildlich vorstellen: Wenn ein Server ausfällt, bricht noch nicht das Internet zusammen, weil eben alles vernetzt ist. Lösungen können sehr viel spezifischer angeboten werden und auch „Ausfälle einzelner Server“ können häufig von anderen aufgefangen werden.

Vielen Dank für die Darstellung. Wir würden gerne noch mehr über die Veränderungen durch systemische Herangehensweisen erfahren. Gibt es Auswirkungen auf das teilnehmende Unternehmen- in diesem Fall auf Boehringer Ingelheim?

Ja, auf jeden Fall! Reagierendes UE zielt vor allem einen gesellschaftlichen Mehrwert an. Unternehmerische Aspekte sind hier eher zweitranging- außer vielleicht die Reputation. In dem systemischen Ansatz sehen wir einen viel größeren Mehrwert für unser Unternehmen, besonders für die Innovationsfähigkeit. Stellen Sie sich doch mal die folgende Situation vor:

Viele Mitarbeitende gehen mit innovativen Ideen zu ihren Vorgesetzten. Dort bekommen sie häufig Antworten wie: „Wir haben jetzt keine Zeit“; „Das steht jetzt nicht in unserer Strategie“; „Dafür hast du doch gar keine Expertise“ und die Ideen sind schnell abgebügelt.

Durch systemische Zusammenarbeit kommen die Mitarbeitenden nicht mehr einzeln zu ihren Vorgesetzten. Sie kommen mit weiteren Personen, vielleicht aus anderen Funktionen und Bereichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass innovative Ideen dann Gehör finden, steigt stark an. Was auch daran liegt, dass die Ideen schon robuster erscheinen, denn die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Unternehmen, Sozialunternehmen, der Gesellschaft oder der Zielgruppe selbst hilft, Lösungsvorschläge hin und her zu spielen und direktes Feedback zu bekommen.

Kurz gesagt: Wir haben systemisches Engagement als innovatives Element in der Firma erkannt, dass wir fördern, um auch als Unternehmen der Zukunft bestehen zu können.

Welche konkreten Vorteile sehen Sie für die Mitarbeitenden, die bei MMH teilnehmen?

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden: Die Digitalisierung bringt den Handlungsbedarf zum Vorschein und verändert die Art und Weise wie wir Wirtschaft b

Zum Beispiel haben die Mitarbeitenden einen großen emotionalen Gewinn. Sie sind stolz, wenn Sie nach der MMH Teilnahme zurück zu ihren Arbeitsteams gehen und von Ihren erfolgreichen Projekten, die einen gesellschaftlichen Impact haben, erzählen. Das steigert Ihre Motivation und ruft in Erinnerung, warum ihr Job so wichtig ist. Außerdem wird die Innovationsfähigkeit gestärkt. Bei MMH gehen unsere Mitarbeitenden in die Welt und beobachten, was die Menschen brauchen, und was sie bewegt. Und dann kommen plötzlich Ideen auf. Zum Beispiel haben wir gemerkt, dass Menschen Spüli brauchen, aber sich von Ihrem Tagelohn keine große Flasche leisten können. Also sollten wir uns als Unternehmen darauf fokussieren, die Flaschen in Kleinstverpackungen anzubieten, um somit den Menschen den Zugang zum Produkt zu erleichtern.

Der systemische UE-Ansatz klingt spannend, aber auch komplex. Welche Herausforderungen sind Ihnen beim Aufbau und bei der Durchführung von MMH begegnet?   

Für viele Menschen ist es ungewohnt, Dinge anders als gewohnt zu tun. Es fällt ihnen schwer, ihr “Fachgebiet”, ihre “Expertise” zu verlassen und sich auf neue Erfahrungen einzulassen.Das trifft besonders zu, da unsere Gesellschaft Spezialistinnen und Spezialisten ausbildet. Oft arbeiten wir in diesen Bereichen dann ein Leben lang und lernen nur noch auf diesen Gebieten dazu. Die Herausforderung besteht darin, auch mal wieder einen Schritt von der eigenen Expertise zurücktreten und das größere Ganze in den Blick zu nehmen.

Außerdem kommt noch hinzu, dass große, erfolgreiche Unternehmen und Organisationen  höchste Standards setzen, was Lösungsfindungen und Lösungen angeht.  Dort, wo Menschen an der Armutsgrenze leben, wo alltägliche Probleme wirklich lebensbedrohlich sind, sind „gut genug Lösungen“ aber sehr viel wichtiger. Schnelles Agieren, sozialunternehmerische Denkweisen und Lösungen, die MIT den Menschen vor Ort, nicht FÜR sie entwickelt werden, können hier sehr viel effizienter helfen. Wir müssen eine sozialunternehmerische Mentalität aufbauen und Dinge einfach mal ausprobieren!

Welche Tipps können Sie uns beim Aufbau dieser sozialunternehmerischen Mentalität geben?

Wir müssen lernen, die Zusammenhänge und Ursachen als Gesamtheit zu begreifen und schneller aktiv zu werden.  Lasst uns ausprobieren! Beim Tun lernen!

Überlegen Sie nicht zuange, wo sie strategisch gesehen am besten  anfangen sollen!  Es gibt nicht „die beste Strategie“ oder „das beste Projekt“. Auf Grund der hohen Vernetzung sozialer Probleme – so hängt Gesundheit ja auch mit Infrastruktur, Bildung, Mobilität, Energie und Einkommen zusammen – kommen wir nach und nach sowieso zu den verschiedensten Bausteinen. Also suchen Sie sich einen konkreten Punkt und fangen Sie einfach mal an. Bleiben sie dabei agil, entdecken Sie neue Wege!

Es kann auch helfen, neue Formate zu entwickeln. Bei MMH haben wir zum Beispiel einen Wettbewerb, wo interdisziplinäre Teams einen Raum und finanziellen Support von der Unternehmensleitung bekommen, um soziale Probleme zu erkennen und Lösungen zu schaffen. Außerdem laden wir Mitarbeitende und externe Interessentinnen und Interessenten zu Leadership Wochen ein, wo wir sie mit zu den MMH Projekten und den Menschen, die es betrifft, nehmen. Dann heißt es raus aus der Komfortzone! Wir fahren nicht in Hotels, sondern leben 7 Tage lang bei einer NGO in Indien oder Kenia, wo auch mal die Dusche nicht funktioniert. In dieser Umgebung verstehen wir dann  die Herausforderungen der Menschen und wie diese Herausforderungen miteinander verlinkt sind. Wir setzen uns zusammen, entwickeln Lösungsansätze und setzen diese um- gleich mal als Test in der Woche selbst. Vom Brainstorming zur Umsetzung – das kann manchmal sehr lehrreich sein,

Für den innovativen Spirit brauchen wir außerdem ungewöhnliche, neue Partnerschaften. Stellen Sie also sicher, dass sie beim Prozess mit Menschen zusammenarbeiten, die nur selten Ihre Wege kreuzen: aus anderen Unternehmen, Sektoren, aber eben auch aus der NGO Welt. Diese ungewöhnlichen Partnerschaften führen auch zu ungewohnten neuen Fragestellungen und  innovativen Ideen, wie man gemeinsam Dinge angehen kann. Vielleicht stoßen Sie dann auch auf Erfolgsindikatoren, die vielleicht auch für Ihr Business zukunftsweisend sind.

Im Grunde genommen müssen wir alle uns als Teil eines Puzzles vorstellen, das nur wenig wert ist, wenn die anderen Teile fehlen. Als Unternehmen müssen wir uns bewusst machen, dass keiner von uns in der Lage sein wird, ein ganzes Puzzle zu bauen. Wir werden nie eine allumfassende Expertise haben. Auch wenn wir an der einen oder anderen Stelle über unser Themenfeld hinausgehen, brauchen wir wirklich viele Partnerschaften und Kooperationen. Diese werden uns dann ermöglichen, einen nachhaltigen Mehrwert für die Gesellschaft, aber auch für das Unternehmen und die Mitarbeitenden zu schaffen.


Herzlichen Dank für die interessanten Einblicke und weiterhin viel Erfolg mit dem Projekt!

Das Interview wurde am 19.01.2022 von Joris-Johann Lenssen, Projektleiter Unternehmensengagement & -verantwortung, ZiviZ gGbmbH im Stifterverband (Kontakt: Joris.Lenssen@stifterverband.de) geführt.

Sie wollen mehr über Making More Health erfahren? Hier geht es zur Website.


[1] In Deutschland wird Corporate Social Responsibility und Unternehmensengagement bzw. Corporate Citizenship oftmals synonym verwendet. Im Unternehmensengagement & -verantwortungsbereich möchten wir diese Begrifflichkeiten trennen und haben diese deshalb im Interview angepasst.

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