Hürden der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten

Interviews

Datum 7. November 2022

Interview mit Dr. ralf sänger

Dr. Ralf Sänger arbeitet am Institut für sozialpädagogische Forschung in Mainz zum Thema Arbeitsmarktintegration. Außerdem beschäftigt er sich in einem zweiten Arbeitsfeld damit, Personen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte auf dem Weg in die Selbstständigkeit zu unterstützen. Wir haben mit ihm über die Hürden für Geflüchtete auf dem Weg in den Arbeitsmarkt gesprochen.


Vielleicht können Sie kurz zusammenfassen, was Sie im Institut für sozialpädagogische Forschung in Mainz machen?

Ich beschäftige mich seit 15 Jahren damit, wie benachteiligte Personengruppen in den Arbeitsmarkt integriert werden können, insbesondere Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte. Aktuell natürlich Personen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Daneben ist unser Institut vor allem für die Evaluation von arbeitsmarktpolitischen Programmen zuständig, die von Ländern und vom Bund geführt werden. Mein zweiter Arbeitsschwerpunkt besteht darin, Konzepte und Instrumente zu entwickeln, wie man Personen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte unterstützen kann, wenn sie sich selbstständig machen wollen.

Wir wollen heute darüber sprechen, wie Unternehmen Menschen mit Fluchthintergrund in den Arbeitsmarkt begleiten können. Wie schnell können Geflüchtete in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden und was sind die größten Hürden dabei?  

Die größte Hürde, wenn ich mit meinen Habseligkeiten hier ankomme, ist die deutsche Sprache. Die nächste Hürde, egal in welches Land ich komme, ist, mich in den dortigen Lebensgewohnheiten, der dortigen Verwaltung und den Möglichkeiten, die ich habe, um meinen Lebensunterhalt zu sichern, zurechtzufinden. Wenn es um den Arbeitsmarkt geht, ist es wichtig ein soziales und gesellschaftliches Netz zu haben, um überhaupt erkennen zu können, welche Möglichkeiten ich habe Teil des Arbeitsmarktes zu werden. Ich denke, das sind die größten Hürden. In Bezug auf meine Tätigkeiten kommt noch die Hürde der beruflichen Anerkennung meines im Herkunftsland erworbenen Berufsabschlusses hinzu. Wie kann ich anerkennen lassen, was ich gelernt und welchen Berufsabschluss ich habe, um als Fachkraft tätig werden zu können.


Wir sprechen immer wieder vom Fachkräftemangel in den unterschiedlichsten Bereichen in Deutschland. Wann ist man eine Fachkraft und wann wird dieser Status aberkannt, wenn man in ein anderes Land geht?

In Deutschland ist es relativ einfach: man ist dann Fachkraft, wenn der Berufsabschluss, den man in seinem Herkunftsland erworben hat, in Deutschland als gleichwertig anerkannt ist. Das gilt vor allem für die reglementierten, dual erworbenen Berufe (z.B. Pflege, Erzieher), wo ich einen Berufsabschluss haben muss. Diese duale Ausbildung (theoretisch und praktisch kombiniert) existiert in den meisten Ländern nicht. Für reglementierte Berufe gibt es die sogenannten zuständigen Stellen, die für die Anerkennung verantwortlich sind, das können Landesbehörden oder Kammern sein. Diese Stellen prüfen u.a. die (beglaubigten) Unterlagen und Qualifikationen, die die geflüchteten Personen mitbringen. Sie werden mit den deutschen Berufsausbildungen abgeglichen. Daran wird festgemacht, ob noch weitere Qualifikationen notwendig sind- was meistens der Fall ist. Ohne duales System, fehlt oftmals entweder ein theoretischer oder ein praktischer Teil bei der Berufsausbildung. Das heißt, ich habe meistens keine Gleichwertigkeit, wenn ich nach Deutschland komme. Ich muss erst meinen Berufsabschluss anerkennen lassen und gegebenenfalls noch eine Anpassungsmaßnahme durchführen, um hier wirklich als gleichwertig zu gelten und als Fachkraft arbeiten zu können.

In der Konsequenz heißt das, wenn ich hier nach Deutschland komme, muss ich erst versuchen mein Sprachniveau auf ein B2 Level anzupassen. Ich vermute, dass man dazu mindestens 12 – 18 Monate benötigt, wenn man vorher keine Deutschkenntnisse hatte. Anschließend muss ich an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen, die meistens ein halbes Jahr bis 9 Monate dauert, um dann als Fachkraft voll anerkannt zu sein. Leider ist diese oftmals auch nicht flächendeckend in Deutschland verfügbar. Um eine Gleichwertigkeit erreichen zu können, muss ich also schauen, wo diese Qualifizierungsmaßnahmen zu finden sind, dies dauert zusätzlich an Zeit. Ja, wir brauchen in vielen Branchen Fachkräfte und aus der Ukraine sind viele gut ausgebildete Personen nach Deutschland geflüchtet. Aber ihre Berufsausbildung ist noch nicht als gleichwertig anerkannt, daran ist frühzeitig zu arbeiten, um das Potenzial zu erkennen. Sie sind Fachkräfte, die eine zweite Sprache sprechen, die vielleicht auch eine neue Kundengruppe ermöglichen. Gleichzeitig fördert es die interkulturellen Kompetenzen, wenn Unternehmen sich diverser aufstellen. In menschennahen Berufen kann es zum Beispiel auch Sprachbarrieren überwinden, wenn Patienten/Kunden kein deutsch sprechen. Diese Potenziale greifen aber eben erst nach einer gewissen Zeit.

Das heißt nicht, dass ich nicht schon vorher berufsbegleitend arbeiten könnte, wenn das Unternehmen mir die Möglichkeit gibt einen Halbtags- oder 20-Stunden-Job berufsbegleitend zu einer Qualifizierung machen zu können. Das ist möglich, wird bisher jedoch selten genutzt. Unternehmen müssen sensibilisiert werden, um bereit zu sein, Personen einzustellen, zu entlohnen und ihnen die Möglichkeit der Qualifizierung zu geben, obwohl diese ein halbes Jahr bis Jahr dauern kann. Mittelfristig würde es den Unternehmen aber ermöglichen neue Fachkräfte zu bekommen.


Wir sprechen bei der Flüchtlingswelle aus der Ukraine insbesondere über Frauen mit Kindern. Sollten sich Unternehmen demnach auf mehr Teilzeitmodelle oder andere Notwendigkeiten einstellen?

Wir haben durch den neuen Flüchtlingszuwachs ganz andere Personengruppe als im Jahr 2015 und 2016. Damals sind viele Personen aus dem Nahen Osten gekommen, darunter auch viele Familien. Jetzt haben wir sozusagen Halb-Familien, vor allem alleinerziehende Frauen – fast 80% der geflüchteten Erwachsenen sind Frauen. Da müssen sich Unternehmen auf innovative Modelle einstellen. Die Frauen, die anfangen zu arbeiten, haben mehr als eine Arbeit- nachdem sie gewisse Deutschkenntnisse haben, können sie höchstwahrscheinlich nur Halbtags oder etwas über 20 Stunden arbeiten. Nebenbei benötigen sie Zeit für Kindererziehung und -betreuung, fürs Deutsch lernen und für ihre Qualifizierungen. Das sollten Unternehmen mitdenken, wenn sie Personen einstellen. Viele ukrainische Frauen sind Fachkräfte, sie haben einen akademischen Hintergrund und einen Berufsabschluss, der eben erstmal oft nicht als gleichwertig anerkannt wird.

Sie hatten Selbstständigkeit als Alternative genannt, das ist mit viel Flexibilität verbunden. Wie können Unternehmen Geflüchtete unterstützen diesen Weg zu gehen oder lässt sich das eventuell sogar kombinieren?

Der Weg könnte über Intrapreneurship verlaufen: wie wichtig ist es Unternehmen, dass sie selbstständige Personen in ihrem Betrieb haben, und wie kann ich Selbstständigkeit im Betrieb fördern? Für uns war es interessant festzustellen, dass Personen aus der Ukraine schon nach 3-4 Monaten Interesse an dem Thema Selbstständigkeit hatten. Wir dachten, dass das längere Zeit dauern wird, aber viele haben schon Informationen angefragt. Wir merken also, dass ein großes unternehmerisches Denken und Handeln vorhanden ist, was insbesondere für Unternehmen von Interesse sein könnte. Personen wollen selbstständig denken und arbeiten. Wie Unternehmen das in ihre Strukturen einbauen, ist eine andere Frage, aber das Wissen darum, dass Personen selbstständig arbeiten wollen, ist ein wichtiger Faktor für Unternehmen. Wenn sie Personen einstellen und sie nicht nur als abhängige Beschäftigte, sondern als Intrapreneure sehen, kann auch das die Unternehmen weiterbringen.

Am Wirtschaftsstandort Deutschland ist das ja etwas, was wir mehr wollen. Demnach sind das doch gute Nachrichten. Ist es denn einfacher selbstständig zu sein, als eine abhängige Beschäftigung zu haben oder ist das nicht vergleichbar?

Beide Seiten haben ihre Hürden: eine Hürde bei einer abhängigen Beschäftigung ist die Gleichwertigkeit meines Berufs, damit ich nicht in niedrig qualifizierten Jobs verharre und dadurch auch eine geringe Entlohnung habe. Der Nachteil und die große Hürde bei der Selbstständigkeit ist, dass ich aktuell als ukrainische Geflüchtete nur eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis habe, deshalb ist es schwierig an Kredite zu kommen. Und das ist eine wichtige Voraussetzung für die Selbstständigkeit, zumindest in vielen Bereichen. Welche Bank gibt mir einen (Mikro-)Kredit von 10- 15.000€, wenn ich sage, dass ich nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis für 2 Jahre habe. Das ist für Geflüchtete, auch wenn sie anerkannt sind, ein großes Problem, da auch sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ich komme ohne großes Bankkonto nach Deutschland, ich bekomme beim Jobcenter meine Leistungen und habe erstmal kaum Geld, das ich nachweisen kann oder auf das sich Banken berufen können. Das ist das größte Problem, wenn ich mich als geflüchtete Person selbstständig machen möchte.

Kredite bereitzustellen, ist vielleicht ein Ansatzpunkt für die Politik. Gibt es aktuell schon Möglichkeiten über offizielle Kanäle an etwas zu kommen oder ist das noch vollkommen unerschlossen? Wäre das eventuell auch etwas, wo Unternehmen behilflich sein könnten?

Aktuell sind mir 2 Möglichkeiten bekannt: die Berliner Bürgschaftsbank und die NRW Bank haben Finanzierungsmöglichkeiten für Geflüchtete entwickelt. Aber ansonsten ist es schwierig für diese Gruppe an Klein- oder Kleinstdarlehen zu kommen. Auch wenn die Personen meist eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis bekommen, besteht bei den Hausbanken die Befürchtung, dass diese Personen ihre Kredite aufgrund ihrer Aufenthaltsbefristung nicht zurückzahlen können. Letztendlich ist das Restrisiko bei der Bürgschaftsbank oder der Landesbank, falls die Aufenthaltserlaubnis doch nicht verlängert wird, so dass die Personen länger in Deutschland bleiben dürfen.

Es wäre sicherlich interessant für Unternehmen zu schauen, ob Personen, die bei ihnen beschäftigt sind oder waren, sich aus dem Unternehmen heraus selbstständig machen wollen und sie dabei zu unterstützen.

Außerdem wäre es eine innovative Idee eine Art Mikrokreditfonds von verschiedenen Unternehmen aufzubauen, den betroffene Personen für ihre Selbstständigkeit nutzen könnten. Einen solchen Fond gibt es meines Wissens bisher nicht in Deutschland. Wir haben Business Angels, aber das ist ein ganz anderes System. Wichtig ist auch zu wissen, dass wir es häufig mit kleineren Krediten zwischen 20 – 50.000€ zu tun haben, um einen Einstieg zu finden.


Das sind spannende Ideen, vielen Dank für das interessante Gespräch und die Einblicke in Ihre Arbeit!

Das Interview wurde am 21.10.2022 von Joris-Johann Lenssen, Programmleiter Unternehmen für Gesellschaft, ZiviZ im Stifterverband (Kontakt: Joris.Lenssen@stifterverband.de) geführt.

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